«Vielfalt ist für mich kein Selbstzweck»
Michel Rudin ist der Kopf hinter dem «Swiss Diversity Award». Weshalb der LGBTQ+-Aktivist und GLP-Politiker mit seinem Engagement für Inklusion nicht den kurzfristigen Applaus sucht, erläutert er im Interview.

Zudem führt er aus, wie die Politik dazu beitragen kann, Einsamkeit im Alter zu bekämpfen und, weshalb malreden eine Brücke zu etablierten Fachstellen und Menschen mit Gesprächsbedarf bilden kann.
Michel Rudin, Sie sind Gründer und Vizepräsident des 2019 gegründeten Vereins Swiss Diversity. Weshalb braucht es in der Schweiz eine solche Plattform und welche Ziele sind damit verbunden? Haben Sie erreicht, was Sie sich vorgestellt habt?
Wie bei jedem Projekt weiss man am Anfang nicht genau, was alles auf einen zukommt. Das ist aber auch besser so (lacht). Nein, im Ernst: Ich bin stolz auf all die Beteiligten und auf das, was wir gemeinsam erreichen konnten. Vielfalt ist für mich kein Selbstzweck, sondern stärkt über konkrete Projekte und Initiativen unser gesellschaftliches Zusammenleben. Deshalb betreiben wir neben den Awards auch einen Think-Tank, präsentieren Studien und veranstalten verschiedene Dialogformate. Swiss Diversity ist heute eine etablierte Plattform, doch entscheidend bleibt, dass konkrete Projekte wie malreden ihre gesellschaftliche Sichtbarkeit, die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern und potenzielle finanzielle Ressourcen erweitern können. Mein persönlicher Anspruch ist dabei immer, eine nachhaltige Wirkung anzustreben, anstatt den kurzfristigen Applaus zu suchen.
Was bedeutet für Sie «Age Diversity» und weshalb ist es wichtig, dass Einsamkeit und Teilhabe im Alter stärker in den öffentlichen Diskurs rücken?
Age Diversity bedeutet für mich, dass ältere Menschen zur gesellschaftlichen Vielfalt beitragen und dass das Alter keineswegs ein Defizit darstellt. Unterschiedliche Lebensläufe, Kompetenzen und Bedürfnisse älterer Menschen sind eine Ressource. Das gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für die Gesellschaft als Ganzes. Zudem ist Einsamkeit im Alter kein Randthema; sie beeinträchtigt die individuelle Gesundheit der Betroffenen und hat grosse Auswirkungen auf unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer Teilhabe stärkt, senkt potenzielle Folgekosten im Gesundheits- und Sozialwesen und erhöht die Lebensqualität für uns alle.
Welche Bedeutung haben niederschwellige Angebote wie malreden im Zusammenspiel mit professionellen Angeboten des Gesundheits- und Sozialwesens?
Niederschwellige Angebote sind oft der entscheidende erste Schritt, gerade weil diese erste Hürde für viele bekanntlich schwierig zu überwinden ist. malreden schafft geschützte, einfache Zugänge und baut Vertrauen auf, wo professionelle Angebote noch ein zu grosses Hemmnis darstellen. Umgekehrt können Fachstellen wiederum Menschen an niederschwellige Angebote zurückverweisen, wenn es um alltägliche Begleitung geht. So entsteht bestenfalls eine Brücke in beide Richtungen.
Wie kann Politik dazu beitragen, Einsamkeit im Alter systematisch zu bekämpfen und die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen zu stärken?
Die Politik kann sehr viel bewirken, wenn sie Einsamkeit als gesellschaftliche Aufgabe versteht. Dazu gehören Strategien und Programme auf kommunaler und kantonaler Ebene, die Finanzierung niederschwelliger Angebote und die Förderung von Begegnungsorten in Quartieren. Auch Hausärzt:innen und die Spitex sollten einfacher auf Initiativen wie malreden verweisen können, damit soziale Kontakte selbstverständlicher Teil der Gesundheitsversorgung werden. Ebenso wichtig sind Investitionen in Mobilität und digitale Teilhabe, damit ältere Menschen aktiv bleiben und nicht aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt werden. Entscheidend dabei ist, dass die Politik Brücken baut – zwischen lokalen Initiativen, Fachstellen und der Gesellschaft als Ganzes. Mit der neu gegründeten Agentur Agon Impact beschäftigen wir uns genau mit solchen Fragen: Wie entfalten solche Brücken Wirkung und wie kann ihre Wirkung multipliziert werden?
Welche Stereotype oder Haltungen gegenüber älteren Menschen müssten wir überwinden, damit Inklusion im Alter gelebte Realität wird?
Wir müssen wegkommen vom Defizitblick, der ältere Menschen vor allem als bedürftig und passiv darstellt. Alter bedeutet Erfahrung, Engagement und Kompetenzen. Ebenso sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass es «die Alten» gibt. Vielfalt bereichert jede Lebensphase und das gilt im Besonderen für spätere Lebensphasen. Und nicht zuletzt gilt es, Einsamkeit nicht länger als Privatsache zu betrachten, denn die Überwindung von Einsamkeit ist auch eine öffentliche Aufgabe. Erst wenn wir diese Haltungen überwinden, wird Teilhabe im Alter zur Selbstverständlichkeit.
Nominationen wie jene des Swiss Diversity Award schaffen Aufmerksamkeit. Wie können Ihrer Erfahrung nach Organisationen davon profitieren?
Eine Nomination rückt engagierte Personen und Organisationen ins Rampenlicht und macht diese für ein breites Publikum sichtbar und schafft Vertrauen bei jenen Menschen, die das Projekt vielleicht noch gar nicht kannten. Das kann Türen zu Spenderinnen und Spendern, zu Stiftungen oder zu Partnerorganisationen öffnen. Vor allem aber verleiht eine Nomination dem eigenen Engagement Legitimität und Strahlkraft: Sie zeigt, dass ein Thema gesellschaftlich relevant ist und dass die geleistete Arbeit Wirkung entfaltet.
Bild: zvg
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