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Umgang mit Einsamkeit

Eva Zwahlen, Kommunikationsstudio, stellt malreden das Interview mit Lucia Lanfranconi, Sozialforscherin und Professorin an der Hochschule Luzern und Romana Lanfranconi, Produzentin und Regisseurin des Films «Einsamkeit hat viele Gesichter» zur Verfügung.

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«Für die Zukunft ist es wichtig, dass der Dialog zwischen der Sozialen Arbeit und dem Gesundheitswesen noch intensiviert wird.»

Einsamkeit macht krank: Wer sozial isoliert ist, hat ein erhöhtes Risiko, frühzeitig zu sterben. Weshalb eigene Handlungsstrategien im Umgang mit Einsamkeit wichtig sind, ein enger Austausch zwischen Fachleuten des Gesundheitswesens und der Sozialen Arbeit sinnvoll wäre und was wir alle gegen Einsamkeit in unserem eigenen Umfeld tun können, darüber äussern sich die beiden Schwestern Lucia Lanfranconi, Sozialforscherin und Professorin an der Hochschule Luzern, und Romana Lanfranconi, Produzentin und Regisseurin des Films «Einsamkeit hat viele Gesichter», im Interview.

Text: Eva Zwahlen, Kommunikationsstudio
Foto: unplash

Lucia Lanfranconi, im Alter nimmt Einsamkeit oft zu, sei es, weil man alleinstehend ist oder die Pflege von Freundschaften im Laufe der Zeit etwas vernachlässigt wurde. Einher mit Einsamkeit gehen dann häufig körperliche Schmerzen oder die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit. In der Sozialen Arbeit steht die soziale Dimension von Krankheit im Zentrum. Was sind Anknüpfungspunkte für die Soziale Arbeit, wo kann sie sich einbringen, um Einsamkeit entgegenzuwirken?
Die Soziale Arbeit beschäftigt sich tatsächlich vor allem mit der sozialen Dimension der Einsamkeit. Verschiedenste Organisationen des Sozialwesens leisten hierzu einen Beitrag. Diese können lokal sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Zentral sind hier die Gemeinwesen- und die Freiwilligenarbeit, Nachbarschaftshilfe sowie soziale, kulturelle und spirituelle Angebote und Aktivitäten. So können etwa Quartiertreffs, Mittagstische oder offenen Kaffee-Runden in einzelnen Quartieren oder Dörfern Menschen zusammenbringen, die sonst einsam wären. Mehr und mehr Gemeinden steuern und gestalten ihre Alterspolitik durch klare Leitbilder und innovative Projekte. In der Gemeinde Ostermundigen wurde zum Beispiel unlängst ein Begegnungsweg, also ein «Bänkli-Weg», eröffnet, der Gelegenheit bieten soll, «einsame Menschen» zusammenzubringen und zu vernetzen. Ein weiteres Beispiel sind auch regionale Selbsthilfezentren, die einsame Menschen in Selbsthilfegruppen vernetzen. Vielerorts und gerade auch in ländlichen Gebieten leisten die Kirche, Vereine und Verbände Präventionsarbeit gegen die Einsamkeit.

Während der Corona-Pandemie mussten insbesondere Vulnerable, beispielsweise ältere Menschen oder solche mit bestimmten Vorerkrankungen, vor Ansteckungen mit Covid-19 geschützt werden, oft mit der Konsequenz, dass sie zu Hause oder in stationären Einrichtungen isoliert wurden ohne oder mit sehr wenig Kontakt mit der Aussenwelt. Auch für junge Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen hatte dies zum Teil schwerwiegende Konsequenzen. Wie geht die Soziale Arbeit mit diesem Zielkonflikt um, im Wissen darum, dass Einsamkeit unter Umständen zu einer Verstärkung der Symptome führt?
Das ist richtig: In dieser Zeit der Corona-Pandemie war die Soziale Arbeit weltweit in einer höchst schwierigen Situation. Sie musste auf der lokalen Ebene oft nach innovativen und pragmatischen Lösungen suchen, um gerade ältere und vulnerable Menschen zu schützen und gleichzeitig versuchen, sie – so gut es eben ging – vor der Einsamkeit und weiteren sozialen und gesundheitlichen Folgen zu bewahren. Stichworte sind hier etwa das Verlegen von gemeinsamen Aktivitäten und Orten des Austausches nach draussen (wie beim «Bänkli-Weg») oder auch das Anbieten von Online-Treffen. Während der Corona-Pandemie wurden mehr Selbsthilfegruppen zum Thema Einsamkeit gegründet, und viele davon haben online oder in einem «hybriden Format» stattgefunden. Am Film meiner Schwester «Einsamkeit hat viele Gesichter» gefällt mir sehr gut, dass sie vor allem auf die Handlungsstrategien fokussiert, die einsamen Menschen entwickeln, um mit ihrer Einsamkeit umzugehen. Dies ist ein wichtiges Thema, gerade in dieser schwierigen Zeit, in der wir noch immer stecken.

Wie bereits erwähnt, fokussiert Soziale Arbeit vor allem auf die soziale Dimension von Krankheit. In der Praxis wird diese Dimension jedoch oft nicht gesehen oder erkannt, und bei körperlichen Beschwerden wird nicht zuerst an eine soziale Ursache, wie eben zum Beispiel Einsamkeit, gedacht. Gleichzeitig betreuen und begleiten die Soziale Arbeit und das Gesundheitswesen aufgrund multiperspektivischer Problemlagen sehr oft dieselben Menschen. Wo sehen Sie Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit Fachleuten aus dem Gesundheitswesen?
Für die Zukunft ist es sicher wichtig, dass der Dialog zwischen der Sozialen Arbeit und dem Gesundheitswesen noch intensiviert wird. Wichtige Schnittstellen leisten hier aktuell beispielswiese Sozialarbeitende in Spitälern, die auf die soziale Dimension einer Krankheit hinweisen können. Ich gehe jedoch davon aus, dass Sozialarbeitende in der Praxis leider oft zu wenig Kapazitäten für diese wichtige Arbeit haben. Darüber hinaus bräuchte es noch viel mehr Austausch und auch gegenseitiges Wissen und Verständnis dieser beiden sehr unterschiedlichen Bereiche der Medizin und der Sozialen Arbeit. Hier würden am besten bereits auch in der Aus- und Weiterbildung mehr Austauschmöglichkeiten geschaffen.

Einsamkeit hat viele Gesichter. Gab es Momente in Ihrem Leben, wo sie selber einsam waren oder sich einsam fühlten?
Bisher gab es in meinem stark ausgefüllten Leben – durch Beruf, Familie, Freunde, Hobbies, Reisen etc. – tatsächlich nur wenige einsame Momente. Da bin ich sicher privilegiert. Die Phase, in der ich mich gerade befinde, wurde in der Literatur auch schon die «Rush hour» des Lebens bezeichnet. Ich denke, das trifft es gut, und ich sehe mich aktuell sicher eher vom Gegenteil der Einsamkeit gefährdet: Stress oder Burnout. Um so mehr finde ich es wichtig, sich auch mit Einsamkeit auseinander zu setzen, weil diese in einer zukünftigen Lebensphase durchaus auch mich treffen könnte.

Romana Lanfranconi, bei der Realisation des Films «Einsamkeit hat viele Gesichter» haben Sie sieben Menschen kennengelernt, die alle unterschiedliche Erfahrungen mit Einsamkeit gemacht haben. Was hat Sie dabei besonders berührt?
Besonders berührt hat mich der Mut der Protagonist*innen. Sie haben in unterschiedlichen Situationen ihre persönlichen Erfahrungen mit Einsamkeit gemacht und Strategien entwickelt, wie sie mit den leidvollen einsamen Momenten in ihrem Leben umgehen. Sie alle zeichnen aber auch andere Seiten in ihrem Leben aus. Zu akzeptieren, dass diese Seiten für den Film mehr oder weniger ausgeklammert werden und der Fokus auf den schwierigen Situationen liegt, erforderte grossen Mut.

War es für die Frauen und Männer schwierig, sich Ihnen gegenüber zu öffnen? Über Gefühle der Einsamkeit zu sprechen, kann ja sehr schmerzhaft oder tabubehaftet sein.
Ich bin auf niemanden zugegangen und habe gesagt: «Sie sind ja einsam, daher möchte ich ein Porträt über Sie machen.» Wir haben uns in Vorgesprächen über das Thema unterhalten und uns zusammen an die Aspekte der Einsamkeit herangetastet, die in dem kurzen Film Platz haben können. Teilweise waren die Gespräche aber schon auch emotional. Ich bin sehr dankbar für diese Gefühle, denn ich bin überzeugt, dass diese Ehrlichkeit den Zuschauer*innen Mut machen kann, selbst über die eigene Einsamkeit nachzudenken und zu sprechen.

Ihre Schwester Lucia Lanfranconi ist Sozialforscherin und Professorin, sie forscht unter anderem zu sozialer Ungleichheit und prekären Lebenslagen. Inwieweit hat sie Sie dazu inspiriert, diesen Film zu drehen?
Lucia und ich tauschen uns oft über soziale Themen aus. Im Gespräch merken wir dann, dass wir uns mit sehr ähnlichen Fragestellungen beschäftigen, auch wenn wir in ganz anderen Berufsfeldern zu Hause sind. So haben wir vor ein paar Jahren das Projekt «Gleichstellen» (www.gleichstellen.ch) zusammen umgesetzt. Das Medium Film eignet sich gut, um auf soziale Themen aufmerksam zu machen. Gleichzeitig ist es für mich sehr spannend und wichtig zu sehen, wie sie als Wissenschaftlerin an die Themen ran geht. Für mich als Dokumentarfilmerin ist der Austausch mit Fachpersonen allgemein sehr wichtig. Ich habe bei dem Projekt «Einsamkeit hat viele Gesichter» mit einer Fachgruppe zusammengearbeitet. Dieser Austausch war sehr wertvoll, und die Fachpersonen helfen uns jetzt auch, den Film und die zur Verfügung stehenden Materialien zu verbreiten.

Welche Botschaft richten Sie mit dem Film an die Gesellschaft, an die Politik, an uns alle?
Wir alle sollten vermehrt über unsere Gefühle, Ängste und Zweifel reden. Der Austausch ist wichtig und hilft, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Mir ist es auch sehr wichtig, die Solidarität in der Gesellschaft zu fördern. Manchmal hilft ein kurzes «Hallo» oder auch nur ein Lächeln, um den Tag für jemanden zu erheitern. Ich hoffe, dass jede*r bei sich anfangen kann und jeden Tag ein Lächeln auf die Strasse trägt. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema bin ich auf viele tolle Projekte gestossen, die beispielsweise die Nachbarschaftshilfe und das Zusammenleben allgemein fördern. Diese gilt es zu unterstützen und zu stärken. Mit diesen Organisationen arbeiten wir nun auch zusammen und organisieren Gesprächsrunden und Podiumsdiskussionen. Dabei erleben wir, dass das gemeinsame Schauen des Films intensive und intime Gespräche ermöglicht.

Einsamkeit hat viele Gesichter. Gab es Momente in Ihrem Leben, wo sie selber einsam waren oder sich einsam fühlten?
Ich denke, diese Momente kennen wir alle. Bei mir waren es kurze Phasen im Leben oder sogar nur Momente. Ich habe zum Glück sehr vieles in meinem Leben, das mich von Einsamkeit ablenkt, denn ich finde es grauenhaft, mit diesem Gefühl umzugehen. Gleichzeitig bewundere ich meine Protagonisten*innen dafür, dass sie schwierige Momente aushalten und gelernt haben mit Einsamkeit umzugehen. Ich durfte viel von ihnen lernen und bin überzeugt, dass es für uns alle wichtig ist, ab und zu das Alleinsein zu üben.

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